LORCA sorpresa, unverhofft Oliver

Federico García Lorca
sorpresa, unverhofft
Ausgewählte Gedichte 1918-1921
Einschreibungen und Irritationen von José F.A. Oliver
Mit Zeichnungen von Federico García Lorca
42 Seiten, Broschur –
hochroth Verlag
Berlin 2015

Preis: 8 €
ISBN:
978-3-902871-64-0

Auf ein paar Vorw:orte

Wundersamer Akt der Übersetzung! Oder sollte ich lieber konstatieren wundersamer Akt eines zweiten, dritten, vierten, gar ins Unendliche mutierenden Originals? Einer sich die Freiheit nehmenden und sich ständig erneuernden Nachdichtung ins Eigene? Gleich in mehrfacher Hinsicht die Gewissheit eines schier erotischen Wahnes der Nähe?  Worte aus Annäherungen und Berührungen? Mit Haut und Haaren? Und meint doch immer auch die Seele, dies Näherkommen, Nahsein. Mit Haut und Haaren Seele. (Seele, altes Wort, und nicht zu erreichen.) Die Gewissheit, letzten Endes, der tat-sächlichen Unmöglichhaft, Fähre zu sein und über zu setzen. Wie der Begriff des Uferwechsels die Vorstellung zu bebildern sucht und gleichzeitig in jener heutigen Metapher zu schreibleben, für die Yoko Tawada vor nicht all zu langer Zeit die japanisch-deutsche Erkenntnis der „Überseezungen“ (er)fand. Bis hin zu dem Verdikt des wahlverwandten Wortgeschwisterpaares (in meinem Fall stiefbrüderlich natürlich) „traductor/traídor“ (Im italienischen Original, wenn ich mich recht entsinne, als traduttore/traitore formuliert).  Irgendwo dazwischen Lorca. Lost in translation. Und irgendwo dazwischen: ich.  Lost in translation. Nicht minder verloren. Zwei, die sich fanden. Nur dass der Gesang nicht mehr gegenseitig sein kann. Der Tod liegt dazwischen. Auch in mehrfacher Hinsicht. Im Spanischen weiblich, im Deutschen männlich. La Tod, el muerte. Lediglich das Sterben, so will mir einleuchten, hat kein Geschlecht: „Cuando yo muera/wenn ich sterbe“. Einst, dereinst, irgendwann… Am meisten machen mir die Artikel zu schaffen: la muerte/der Tod; el mar/das Meer; el amor/die Liebe, etc. und: die Interpunktion. Das Innehalten im Spanischen folgt anderen Verhältnissen. So wie die Klein- oder Großschreibung Prioritäten setzt. Wie dem auch sei, Sie werden es von Gedicht zu Gedicht beurteilen können, dürfen. Ich lade Sie ein, dem Atem zu folgen, der den Ursprungstexten Lorcas auf der verhängnisvollen Spur ist.

„Aber was“, schrieb Federico García Lorca, „was soll ich über die Poesie (Lyrik? Dichtung? Anm. des Übers.) sagen? Was über jene Wolken, jenen Himmel? Du wirst verstehen, dass ein Dichter ( un poeta, Anmerk. des Übers.) nichts über die Poesie sagen kann. Das überlasse den Kritikern und den Professoren. Aber weder du noch ich, noch irgendjemand, keiner weiß, was die Poesie (Lyrik, Dichtung, Anmerk. des Übers.) ist. Hier ist sie: schau.“ Ich könnte im Lorca schauenden Sinne deshalb sagen, was soll ich von der Übersetzung sagen? Hier ist sie: horch!

Wenn ein Gedicht eine Partitur ist, dann höre ich das zu Sagende, und horche ihm nach. Und ich sage es auf meine Weise (weiter). Lorca als Pate. Er spricht, sagt vor; ich höre zu, horche nach, interpretiere. Indem ich interpretiere, variiere ich. Variationen auf seine Themen. Auf s:ein großes Thema: El amor. Der Liebe. La Muerte. Dem Tod. Gab es nicht irgendwann die Tödin? Nach und heutig, will ich schreiben. In der Freiheit, nicht nur die Worte her und fortklingen zu lassen, die das Andalusisch-Spanische niemals verlassen werden, die zurückbleiben am einen Ufer von Sprache und doch danach drängen, in die andere Sprache zu reisen; in der anderen Sprache ankommen, ohne auf Dauer bleiben zu wollen. Der Wunsch, ans Ufer einer anderen Sprache zu gelangen. Ins Deutsche, beispielsweise. Genauer gesagt, in m:ein Deutsch, das nicht das Deutsch derjenigen ist, die Lorca bis dato „über-setzt“ haben. Denn mein Deutsch hatte immer m:ein andalusisches Gehör. Das ist noch keine Gewähr, aber eine unerhörte Mitgift, den Variationen zu vertrauen. Mache ich aus „amor“ die Liebe, die Geliebte, den Geliebten? Und wenn ich es mache, darf ich das?

Wir scheinen heute meer über Lorca zu wissen. Ich meine ihn zu hören, auch in dem, was er nicht sagend gesagt hat. Und ich glaube, dass ich ahnenweiß, was er über-setzt hat, als er schrieb, was er nicht sagen konnte, durfte. Wenn Lorca schreibt, dass das Meer (el mar) „lächelt“, dann bin ich mir wirklich nicht sicher, wo das Lächeln aufhört und ein Grinsen beginnt. Ein Grinsen, das meer „begehrt“ als ein Lächeln es jemals insinuieren könnte. El mar sonríe ist in der deutschsprachigen Variante eines Meeres, das lächelt, nicht wirklich aufgehoben. Oder doch? Ich habe mich schließlich für das Lächeln entschieden und nicht für das Grinsen: Das Meer lächelt. Dabei ist es der Meer, der lächelt. Ich sehe das Grinsen. Es ist ein männliches Grinsen.

Mit den hier vorgelegten Variationen will ich Öl ins Feuer gießen. Lorca sprach auch vom Feuer als er schrieb: „Yo tengo el fuego en mis manos. Yo lo entiendo y trabajo con él perfectamente, pero no puedo hablar de él sin literatura.“ Ich habe das Feuer in meinen Händen. Ich verstehe es und arbeite auf eine perfekte Art und Weise mit ihm, aber ich kann nichts darüber sagen  – ohne Literatur. Diese Sätze Federicos greifen in meine: Das gesungene Wort hört nicht (immer) auf die Flamencogitarre, aber die Finger des Gitarrenspiels sehr wohl auf die Brüche derjenigen, die singen.

Ich weiß, eines Tages werde ich diese Annäherungen erneut variieren.