fernlautmetz

D: 3,95 € *
A: 4,10 €
CH: 5,90 sFr
Erschienen: 25.09.2000
edition suhrkamp 2212, Broschur,
128 Seiten
ISBN: 978-3-518-12212-9

José F. A. Oliver, andalusischer Herkunft, 1961 im Schwarzwald geboren, wo er auch heute lebt, schreibt leidenschaftliche und zugleich stille, eindringliche Gedichte in einem ganz eigenen Ton. Traditionsbewußt und visionär erkundet er die Welt, die Sprache, den Flamenco. Daß er seine Texte auch singt und sich selbst auf der Gitarre begleitet, weiß jeder, der den Autor erlebt oder etwa eine CD gehört hat. Zweisprachig aufgewachsen, hat er ein feines Gehör für die Zwischentöne, für die Differenz.

ideen
sind unter
krieg und frie
den immer
gestiftet wie leer-
zeilen da:zwischen

»Wir haben es zu tun mit einem Talent von eigenem Rang, mit einem Dichter vollkommen selbständiger Dignität, mit einem Schritfsteller von seltenem Ernst. Oliver gibt den Worten ein Eigengewicht – oder nimmt sie bei ihrem Eigensinn -, daß Inhalte mit der Leichtigkeit von Schmetterlingsflügeln transportiert werden.« Fritz J. Raddatz, Die Zeit.

 

Joachim Sartorius über fernlautmetz

im wort sei klangherkunft/ laut-
vermächtnis


Der Zyklus fernlautmetz, Teil eines umfangreichen Lyrikbandes, besteht aus zwanzig Gedichten. Das Eröffnungsgedicht und die beiden Gedichte, die den Zyklus beschließen, haben den Schwarzwald als Hintergrund, wo José Oliver seit seiner Geburt lebt und arbeitet. Sie sprechen von der Natur, von den Jahreszeiten und wie man – wandern, wahrnehmend, lauschend – ein bislang ungehörtes, unerhörtes Wort auffindet wie zum Beispiel »blättersandlicht«.

Diese Gedichte rahmen siebzehn Reisenotizen ein, wortfotos, meist ungemein verdichtete Städteportraits – von Bogotá, Lima, La Paz, La Habana. Mexiko City-, die auf einer Fahrt durch Lateinamerika entstanden sind und den Kern des Zyklus bilden. Diese Reise war für José Oliver, dessen Eltern aus Andalusien stammen, auch eine Reise zurück in die Muttersprache. Un baúl de los recuerdos wird in das deutsche Gedicht geholt. Duende – ein für den Musiker Oliver zentraler Begriff und Titel eines früheren Gedichtbandes – findet er wieder im dicoré, dicoré der Ayoreo, und ›la mar‹ wird zur meerin. Er will, wie er an einer Stelle sagt »entzingeln das schweigen, der Ort erspuren und hautspüren«, er will den Laut bearbeiten – wie ein Steinmetz den Stein, so will er den Laut, den er aus der Ferne/in die Ferne vernimmt, zu Wortreihung, zu Sprache fügen.

Es gibt Gedankenlyrik, es gibt Gedichte vom Körper, es gibt Gedichte-mit-den-Augen. Wenn ich Olivers Lyrik definieren müßte, dann würde ich sagen, er holt über die Klangherkunft der Worte und dann, an zweiter Stelle, über die Augen die Welt herein. Wer die gleichnamige CD gehört hat, weiß, daß Klang, Melodie, Rhythmus für Oliver den Ausgangspunkt des Schreibens bilden – dann setzt die Suchbewegung ein, schneidet Bilder, überrascht Gedanken, schafft eine so noch nie erfahrene Wortlautdichte. Das Gedicht Monterrey, (königs berg?) gibt im Grunde genaueste Auskunft über sein Entstehen, wenn es vom lautvermächtnis spricht:

von stille zu stille
ausbewegt, so
bewortet augzeit sich
vorüberheit dem ohr, eigenstimmig


An anderer Stelle definiert José Oliver das Gedicht als schnappschuß wort/bild klang, der unversöhnter handel ist. Damit meint er wohl, daß Gedichte nie abgeschlossene Gebilde sind, mit sich selbst uneins und unfertig bleiben wie der Handel zwischen Welt und Sprache, Erfahren und Benennen. So zitiert er auch gern Octavio Paz mit dessen poetologischem Satz: Jedes Gedicht ist der Entwurf eines anderen, das wir niemals schreiben werden.

José Oliver hat in seine Gedichte auch Glaubenssätze gestreut, darunter das den Zyklus abschließende, tröstliche Diktum:

als letzter spricht der dichter
und nicht der totengräber


Der Dichter ist der »fernlautmetz«. Er bearbeitet den Ton. Er hebt die vergessenen namen auf und findet für uns die unerwarteten Wörter von tiefem Ernst und flügelhafter Leichtigkeit.

Joachim Sartorius, Sprache im technischen Zeitalter